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Bilder existieren seit circa 15.000
Jahren. In ihren Anfängen dienten sie als symbolische
Abbilder heißbegehrter und lebensnotwendiger
Jagdtiere, die uns in den Höhlen von Altamira
erhalten blieben. Erst seitdem sich vor circa 500
Jahren die zentralperspektivische Darstellungsform
zur
symbolischen Form entwickelte, besitzt deren Verwendung
in den Abbildungskünsten, zu denen seit dem
beginnenden 19. Jahrhundert auch die Photographie
und seit dem Ende
des 19. Jahrhunderts der Film zählen, den für
sie so spezifischen dokumentarischen Charakter. Das
Dargestellte erhält durch seine in dieser Tradition
stehende Bildlichkeit einen Wirklichkeitsanspruch –
auch wenn dieses Dargestellte, wie es beispielsweise
die Surrealisten auf die Spitze trieben, nicht den
physischen Möglichkeiten unserer Welt angehört.
Ein Bild im bisher beschriebenen Sinn stellt also
einen
in der Tradition der Kulturgeschichte stehenden Gegenstand,
der sich auf die Möglichkeit oder Unmöglichkeit
seiner Existenz bezieht, dar und setzt ihn in Bezug
zur Wirklichkeit. Seit den frühen 1960er Jahren
können Bilder auch mittels Maschinen hergestellt
werden. Auch sie stehen in der beschriebenen Tradition
und scheinen auf diese Weise ebenfalls einen Realitätsanspruch
für sich zu erheben. Es stellt sich die Frage
nach dem Verhältnis des Dargestellten zur Wirklichkeit.
Die Rechenmaschinen-Bilder stehen
zwar in der beschriebenen Tradition, zugleich aber
weisen
sie entschieden neue Charaktereigenschaften auf. Inwiefern
unterscheiden sich die neuen zur digitalen, elektronischen
Welt gehörenden Werkzeuge von den alten, zur analogen,
physischen Welt gehörenden Werkzeuge? Walter
Benjamin verwendet in seiner „Kleinen Geschichte
der Photographie“
die Analogie Camille Rechts zwischen der Malerei und
einer Violine und der Photographie und einem Klavier,
um deutlich zu machen, dass der jeweils diese Medien
bzw. Instrumente nutzende Maler bzw. Musiker sich
der einerseits völlig offenen und freien Form
und andererseits der geschlossenen Form mit inhärenten
Gesetzmäßigkeiten bewusst sein muss, um
mit diesen wiederum künstlerisch auf eine Weise
zu arbeiten, die mit den Grenzen der Wahrnehmung
spielen
kann. Erweitern wir dieser Analogie, so müssten
wir den Rechner zugleich als ein mit gewissen Begrenzungen
(etwa Speicherkapazität, Prozessorgeschwindigkeit,
Auflösung des Bildschirms) ausgestattetes Instrument
beschreiben, welches aber keine inhärenten Gesetze
in sich birgt, sondern im Bereich der Software
der
Fantasie (basierend auf den Kenntnissen) des Nutzers
beinahe freien Lauf lässt.
Genau an diesem Punkt können
wir nun beginnen, über die Bilder zu sprechen,
die im Rahmen des Projektes mit dem Namen „Sol“
vor uns stehen. Welche Elemente lassen sich auf den
ersten Blick erkennbar beschreiben, die zur Herstellung
dieser Bewegtbilder benutzt werden? Farben und Formen
wären Begriffe, die aus einer Tradition
statischer Bilder stammt, Bewegung bzw. Rhythmus
stammen als Begriffe zur Bildbeschreibung eher aus
der jüngeren
Tradition der Bewegtbilder bzw. aus der Musik. Wir
sehen also vier Projektionsflächen mit vier
unterschiedlichen Kombinationen aus Form, Farbe
und Rhythmus. Versuchen wir, diese so zu beschreiben,
dass eine Person, die diese Bilder nicht vor Augen
hat, sich
eine
Vorstellung von ihnen machen kann, so gelingt uns dies
nur zum Teil. Wir können davon sprechen, dass
drei der Projektionen eine runde Form zur Grundlage
haben, was in Anbetracht des Titels nahe liegt. Während
die erste Projektion aus zwei Kreisen, einem kleineren
pulsierenden, der in einen größeren eingebettet
ist, besteht - sie heißt „Strahlungsstärke“-,
lebt die zweite Projektion aus einem Kreis, der in
und
mit einem sie umgebenden Quadrat agiert: „Mittleres
Magnetfeld der Sonne“. Die Handlung der dritten
Projektion mit dem Titel „Sonnenflecken“
besteht aus horizontalen Streifen innerhalb einer Kreisform,
die wiederum von der notwendig rechteckigen Projektionsfläche
farbig abgehoben ist. Innerhalb der Kreisform zeigt
sich ein weiter unten beschriebenes so genanntes
Schmetterlingsdiagramm. Die vierte Projektion, „Sonnenwind “,
die sich als Grundform von den drei bisherigen
unterscheidet,
stellt eine waagerecht flirrende Bewegung vertikaler
Linien von links nach rechts dar. Jede Form besitzt
mindestens drei Farbzustände, die von dem Künstlerteam
nach ästhetischen Kriterien zugeordnet wurden.
Soweit kämen wir mit dem Versuch einer Bildbeschreibung.
Doch ist es wirklich das, was wir sehen, was wir
wahrnehmen?
Die Titel der Einzelprojektionen verweisen
uns in die Naturwissenschaften, genauer in den Kontext
der Sonnenforschung. Sie bezeichnen vier messbare
Phänomene. Die dazugehörigen Messdaten,
die in den Jahren 1978-2000 in verschiedenen Forschungsinstituten
über Satelliten erhoben wurden, dienen dem Projekt
„Sol“ als künstlerisches Basismaterial.
Auch dieses Material steht in einer Tradition, denn
Messungen sind notwendigerweise Ergebnisse, die vor
dem Hintergrund einer Theorie entstehen, welche wiederum
oft die Basis der technischen Apparatur ist, mit welcher
gemessen wird. Die technische Apparatur beherbergt
verschiedenste Algorithmen und Transformationsprozesse.
Die Realität, die gemessen wird, wird in diesem
Prozess ihrer Beobachtung und Messung kontinuierlich
verarbeitet. Am Beispiel der Projektion „Sonnenflecken“
wird deutlich, wie die Messwerte bereits in einer notwendigerweise
geometrisch aufgeteilten Form erfasst werden und zu
einem visuellen Ergebnis führen, welches wiederum
mit bereits bekannten visuellen Erscheinungsformen
in
Korrelation gesetzt wird.
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Die scheibenförmige Erscheinung
der Sonne wurde in 50 von der Höhe her gleichgroße,
horizontale Streifen aufgeteilt, so genannte „bins“.
Innerhalb dieser Abschnitte werden die Sonnenflecken
gezählt. Auf diese Weise wird in der Visualisierung
der Messung das so genannte Schmetterlingsdiagramm
sichtbar, welches das abstrakte Bild darstellt für
eine innerhalb eines Sonnenzyklus zu beobachtenden
Regelmäßigkeit.
Die jeweils zu Beginn lediglich an den beiden Polen
auftretenden Sonnenflecken, die im Laufe von einem
elfjährigen
Zyklus zum Äquator hinwandern und an Häufigkeit
zunehmen, ergeben, wenn sie farblich entsprechend
dargestellt werden, eben eine an den Umriss eines Schmetterlings
erinnernde Form. Die in den künstlerischen Kontext
transponierte visuelle Form lehnt sich also sehr
eng
an ihre naturwissenschaftliche Herkunft an. Eine ganz
andere Form des Umgangs mit den vorgefundenen Daten
entwickelte das Künstlerteam von „Sol“
bei der Projektion „Mittleres Magnetfeld der
Sonne“.
Der Kampf der Kreisform in der Mitte mit dem sie umgebenden
Rechteck befragt visuell das Konzept von Feldordnung
und das A priori des Konstrukts von Raum. Diese Fragestellung
ist eine grundlegende und wird hier, obwohl die
Daten
sozusagen sonnenspezifischen Charakters sind, als
generelle Problematik visualisiert.
Naturwissenschaftliche Daten und deren
teilweise bereits vorgeformten Visualisierungen werden
mit der Installation „Sol“ in den Kontext
der Kunst, genauer in den Kontext der elektronischen
Kunst gebracht und als Material weiterverarbeitet.
Das Ergebnis ist - im Unterschied zu den frühen
Computergraphiken der 1960er Jahre - allerdings keines,
welches allein auf den Elementen Instrument (Rechenmaschine)
und deren Gesetzmäßigkeiten (Programm)
aufbaut und daher, wie etwa das berühmt gewordene
Apfelmännchen,
eine reine statische Visualisierung von mathematisch
komplexen Formeln darstellt. „Sol“ geht
einen Schritt weiter, denn die Entscheidung, einen
Ausschnitt
von vier gleichzeitigen Sets von Messungen ästhetisch
weiterzubearbeiten und die abstrakten Zahlenreihen
wieder in ein wahrnehmbares Phänomen in Form einer
Installation zu bringen, zieht die Konsequenz nach
sich,
dass, ebenso wie der beobachtete Naturgegenstand,
die Sonne, zu jedem Zeitpunkt sich verändert,
auch die hier zu rezipierende Installation sich
in ständiger
Bewegung befindet. Die Lebendigkeit, wenn man diesen
Begriff an dieser Stelle einmal einsetzt, und das
für unsere Wahrnehmung unregelmäßíge
Muster beinhaltet und erhebt zugleich einen Realitätsanspruch.
Die für unsere Sinnesorgane verborgenen
Vorgänge auf der Sonne werden in der Installation
„Sol“ auf ästhetische Weise umgesetzt.
Alle vier Bildfelder vermitteln in Echtzeit gleichzeitig
gemessene Werte, die uns vor die Aufgabe stellt, diese
vier voneinander getrennten Kanäle wieder als
eine zusammengehörende Einheit, inklusive
der akustischen Eindrücke, zu rezipieren. Es
stellt sich natürlich
die Frage, inwieweit das Sinn macht, inwieweit das
Kunst ist. Doch, man könnte, um ein statisches
Beispiel zum Vergleich zu nehmen, an die Fassade
einer gotischen
Kathedrale und deren harmonische Zahlenverhältnisse
denken. Die dort wahrnehmbaren mathematischen Verhältnisse
beeindruckten die Menschen des 13. Jahrhunderts
wahr- scheinlich in einem Maße, welches wir
nur noch ahnen können. Möglicherweise
ist die für
uns sinnlich aus dem Anblick der Sonne nicht erfahrbare
Komplexität der Natur hier erstmalig in der Installation
„Sol“ nachvollziehbar, indem wir die ästhetisch
vermittelten Messdaten von zwei Sonnenzyklen von
jeweils
circa 11 Jahren visuell und akustisch erleben können.
Die Visualisierung von aus der Wirklichkeit
gewonnenen (sei es durch Beobachtung in der Steinzeitkultur,
sei es durch hochtechnologisierte Messinstrumente im
20. Jahrhundert) Eindrücken, erhält dann
einen Bildcharakter im kulturellen Sinne, wenn sie
nicht nur
abbildet, sondern auf neue Art und Weise die Grenzen
der Wahrnehmung der Betrachter in Szene setzt. Der
visuelle
Eindruck dieser vier in sich sehr komplexen Bewegtbildeinheiten
liegt nicht allein in der Einzelbetrachtung, sondern,
auch in der durch die Rezeption herzustellende Verknüpfung
der Einzelprojektionen. Während die vier Bildkanäle
dem projektiven Charakter des Sehsinnes einzeln präsentiert
werden, ist die akustisch wahrnehmbare Ebene dieser
Installation von vornherein bereits als Kompositform
der vier Messreihen angelegt. Das Verhältnis
zwischen den akustischen und den visuellen Eindrücken
ist daher auf andere Art ebenso komplex wie das
Verhältnis
der vier Bewegtbildfelder zueinander. Es geht sowohl
um die Proportionen, die sich jeweils
in
den einzelnen Bildern kontinuierlich verändern,
wie um die Proportionen, die die vier Felder zueinander
einnehmen, wie um das gleichzeitige Wahrnehmen von
hörbaren
Zahlenverhältnissen, die in ihrer Zeitlichkeit
mit den Bildern übereinstimmen. Das zu rezipierende
Werk „Sol“ vermittelt die Lebendigkeit
der Sonne, trotz der vielen Transformationen, die
vom Moment
der Messung bis zum Moment der Präsentation
stattfanden und erweckt den Eindruck, dass wir wirklich
die Sonne
wahrnehmen und nicht Artefakte einer technischen Apparatur,
was die zu Beginn gestellte Frage nach dem Verhältnis
zwischen Dargestelltem und Wirklichkeit für
dieses Mal beantworten soll.
Susanne Ackers
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